"Ohnweit unsern Marckt lieget ein Berg,
welcher die Cappel genennet wird, weil zu denen Zeiten des Pabstthums
auf demselben die sogenannte Wolfgangs-Capell soll gestanden seyn,
wovon sich auch würcklich die Rudera vorfinden. Gleich unter
dem Berge ist ein Brunnen befindlich, welcher ebenfalls der Wolffgangs-Brunnen
genennet wird. Von diesem bezeugen unsere alten und erfahrenen
Bürger, daß derselbe vor ohngefehr 50 Jahren so berühmt
geweßen, daß von weit entlegenen Orten Lahme, Krüppel
und Elende dahin sind gebracht worden, und daselbsten Hülffe
und Reinigung gesucht haben" — so schrieb der
Marktleuthener Pfarrer Johann Wolfgang Seiferth 1774.
Heute wird in Marktleuthen erzählt, dass dieser legendäre
Wolffgangs- oder Augenbrunnen, wie er im Volksmund heißt,
im Keller der ehemaligen Gaststätte Hintere Kappel entspringen
soll. Wir wären keine Heimatforscher, wenn wir dieser Information
nicht einmal nachgegangen wären. Die Eigentümerin der
Hinteren Kappel war so freundlich, uns ihren Keller aufzuschließen.
Durch die Kellertür gelangten wir zunächst in einen
tonnengewölbten Vorraum, von dem aus ein niederer, durch
den Felsen geschlagener Gang in den eigentlichen, ebenfalls aus
dem anstehenden Granit geschlagenen Felsenkeller führt. Im
hinteren Bereich des Kellers wird das Gestein immer mürber
und sandiger; Wurzelstränge zwängen sich durch die Spalten
des Felsens in die Tiefe und hängen in grotesken Formen von
der Decke. Wie in alten Bierkellern so üblich, gibt es auf
der einen, hier rechten Seite, eine Lauffläche, auf der man
die Bierfässer in den Keller schaffen konnte – im Keller
der Hinteren Kappel geschah dies mit Hilfe heute vor sich hin
rostenden Schmalspurschienen – und daneben eine erhöhte
"Bank" zur Lagerung der Bierfässer. Im hinteren
Teil des Kellers zeigte sich zwar im Bereich der Lauffläche
etwa knöchelhoch stehendes, kristallklares Wasser, doch von
einem gefassten Brunnen oder auch nur einer sichtbar zu Tage tretenden
Quelle war keine Spur zu finden. Beim hinausgehen fiel uns dann
unmittelbar neben der in den Vorraum führenden Kellertür
ein aus Ziegeln gemauertes und mit Zement ummanteltes Wasserbecken
auf. Wahrscheinlich war es früher zum Reinigen der Bierfässer
gebraucht worden. Alfred Rennhack konnte uns berichten, ihm sei
erzählt worden, dass das Wasser, womit dieses Becken gespeist
wurde, ursprünglich durch eine Röhre von einer Wasseransammlung
hinter dem Haus hergeleitet worden sei. Vielleicht stünde
damit auch ein heute trocken liegender Schacht zwischen der Hinteren
Kappel und dem Festplatz in Verbindung. Heute fließe aus
dem besagten Rohr kein Wasser mehr, früher aber habe der
Wirt der Hinteren Kappel in dem Becken noch Fische gehältert.
Ein Blick in die Geschichte des Hauses (es hatte die alte Haus-Nr.
195) zeigt, dass der Marktleuthener Brauereibesitzer Gustav Köppel
hier 1907 eine Kegelbahn aus Riegelfachwerk und daneben ein Kellerhaus
mit Wohnung errichtet hatte. Zum Jahresende 1908 verlegte Köppel
seine bisher von Jakob Hager im Anwesen Unterer Markt 8 betriebene
Brauhausschenke auf die Kappel. Damals gab es noch keine Kühlräume
und um auch in der wärmeren Jahreszeit ein süffiges,
kühles Bier ausschenken zu können, war unbedingt ein
anständiger Keller notwendig. Es ist anzunehmen, dass derselbe
gleichzeitig mit dem Kellerhaus im Jahr 1907 entstanden ist.
So ist es uns doch nicht vergönnt gewesen, den legendären
Augenbrunnen zu finden. Aber wir hatten die Gelegenheit einen
interessanten Felsenkeller zu besichtigen und sahen ein Becken,
in dem vielleicht vor noch nicht allzu langer Zeit Fische im Wasser
des Augenbrunnens schwammen. Uns bleibt die Hoffnung, dass ein
"alter und erfahrener Bürger" Marktleuthens diese
Zeilen liest und uns über die genaue Lage des geheimnisvollen
Augenbrunnens aufklärt.
Gesucht - gefunden:
Der legendäre Augenbrunnen auf der Kappel
Diesen Zeilen hier hatten wir es zu verdanken, dass Frau Margit
Langheinrich aus Großwendern auf unsere Suche nach dem Augenbrunnen
aufmerksam geworden ist. Ihre Mutter, deren Schwester Berta und
Schwager Adolf Müller lange Jahre die Wirtsleute auf der
Hinteren Kappel gewesen waren, zeigte uns am 3. Juli den sagenhaften
Augenbrunnen. Es handelt sich um einen mit Betonringen eingefassten
Schacht von rund zwei Metern Tiefe, dessen unteres Drittel noch
mit - allerdings sehr schmutzigem - Wasser angefüllt ist.
Der Schacht befindet sich am nordwestlichen Eck des Marktleuthener
Festplatzes, wenige Meter vom Hang zum Kappelweiher entfernt,
und ist mit einer runden Eisenplatte abgedeckt.
Harald Stark
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